Kompetenzen und Qualifikationen
Viele Menschen haben berufsbezogene Kompetenzen, für die sie keine formalen Qualifikationen haben. Eigentlich nicht schlimm, will man meinen. Dies hat aber zur Folge, dass der Nachweis von formalen Qualifikationen nicht vorhanden ist wenn man ihn braucht. Dies ist regelmäßig der Fall bei einem Jobwechsel oder dem Vertrieb von freiberuflichen Leistungen. Man hat eben keine Nachweise "auf dem Papier". Dies ist im deutschen Sprachraum eher nachteilig. Es wird zumindest in der Vorauswahl verstärkt auf formale Qualifikation geachtet und - unverständlicherweise - weniger auf vorhandene Kompetenzen.
Situation in der Erwachsenenbildung
Diese beschriebene Situation trifft sehr viele Kolleginnen und Kollegen, die in der Erwachsenenbildung tätig sind. Viele machen dies im Ehrenamt oder in teils prekären Beschäftigungsverhältnissen. Andere haben sich autodidaktisch viele Kompetenzen angeeignet und wieder andere sind irgendwie durch Zufall in die Erwachsenenbildung rein gerutscht. Manche haben ein Business gestartet oder machen eher monothematische Kurse. Manche lehren in Betrieben oder an Hochschulen oder betreuen Gruppen von (benachteiligten) Menschen. Andere managen Bildungseinrichtungen oder Kurse. Es eint uns Erwachsenenbildner:innen letztlich ein breites Kompetenzset. Die wenigsten Erwachsenenbildner:innen sind aber pädagogische Fachkräfte, die auf Bachelor- oder Masterniveau ihr "Handwerk" an der Hochschule gelernt haben. Und trotzdem können wir alle was!
Kompetenz braucht Anerkennung
In Deutschland gibt es mit GRETA (ich habe dazu bereits geblogged) ein Kompetenzmodell, um viele der Kompetenzen von uns Erwachsenenbildner:innen sichtbar zu machen. In Österreich gibt es bereits ein auf dem NQR 5 (Nationaler Qualifikationsrahmen Österreich) eingeordnetes Anerkennungsverfahren. In Europa soll(t)en die Abschlüsse ja vergleichbar sein. Demnach entsprechen die in Österreich nachgewiesenen Kompetenzen dem DQR 5 (Deutscher Qualifikationsrahmen Deutschland). Details zum DRQ 5 findet ihr in diesem Dokument von Karl Wilbers:
Das Niveau 5 des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) als Plattform für die Gestaltung bildungsbereichsübergreifender Arrangements Ein Weg zur Stärkung der Durchlässigkeit und Integration von hochschulischer Bildung und Berufsbildung |
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PDF zum DQR 5 |
Das Anerkennungsverfahren ist somit auf dem NQR / DQR in dem Bereich zwischen Berufsausbildung und Bachelorstudium angesiedelt und entspricht dem ersten beruflichen Fortbildungsniveau. Vergeben wird das Zertifikat von der wba, der Weiterbildungsakademie Österreich.
Die wba gehört dem kooperativen Systems der österreichischen Erwachsenenbildung an und hat die Ziele Professionalisierung und Qualitätsentwicklung in der Erwachsenenbildung (in Österreich). Die wba ist rechtlich dem Verband Österreichischer Volkshochschulen (VÖV) angegliedert. Zudem wird sie mit EU Mitteln gefördert. Das ist auch der Grund, warum deutsche Teilnehmende in den Genuss der geförderten Teilnahme kommen.
Verfahren
Das Anerkennungsverfahren ist verschiedenen Stufen aufgebaut und auf der Webseite der wba gut und detailliert beschrieben. Es wird zunächst eine Standortbestimmung durchgeführt, zu der man ein Portfolio seiner formellen und informellen Kompetenzen einreichen muss. Zudem werden Praxisanteile belegt (im Sinne eines Nachweises) und beschrieben. Die Standortbestimmung wird dann durch erfahrene pädagogische Kräfte analysiert und mit einem Anforderungskatalog abgeglichen. Man bekommt für seine vorhandenen Kompetenzen Credit Points, wie an der Fachhochschule oder Universität. Sollte ein Delta zu den beschriebenen Anforderungen sichtbar sein, bekommt man Dieses detailliert aufgezeigt, sodass man seine offenen Punkte nacharbeiten kann. Sollte man etwas übererfüllen verfallen diese Punkte bzw. können eventuell in anderen Kompetenzfacetten anerkannt werden. Das Nacharbeiten fehlender Kompetenzen kann vielfältig erfolgen. Man kann aus österreichischen Kursen wählen oder anderweitig fehlende Kompetenzen nachweisen. Beispielsweise auch durch Kurse in Deutschland, Praxisnachweise, oder ein erhaltenes GRETA Gutachten. Dazu bekommt man sehr gute Tipps der Experten. Sollten alle Anforderungen erfüllt sein, muss man eine Zertifizierungswerkstatt durchlaufen, in der man seine Kompetenzen in der Praxis nachweisen muss und detailliert Feedback bekommt. Dies gibt dann die letzten Credits Points für das Verfahren.
Zertifizierungswerkstatt
Das Konzept der Zertifizierungswerkstatt hat mich sehr überzeugt, auch wenn ich sie als sehr anstrengend wahrgenommen habe. Es ist ein Multiple Choice Test zur Bildung in der EU und in Österreich auf Basis vorzubereitender Literatur durchzuführen. Weiterhin muss eine Praxissequenz im Vorfeld vorbereitet und durchgeführt werden. Diese Praxissequenz richtet sich nach dem gewählten Schwerpunkt in der Zertifizierungswerkstatt. Möglich sind Bildungsmanagement, Training, Beratung und Bibliothek. Weiterhin bekommt man eine dem Schwerpunkt und der eigenen Expertise angemessene ad-hoc Praxisaufgabe, die man kurz vorbereiten kann und dann mithilfe von Teilen der anderen Teilnehmenden durchführen muss. Dies kann beispielsweise eine schwierige Gesprächssituation aus dem Alltag im gewählten Schwerpunkt sein. Zu allen Praxisanteilen bekommt man detailliertes Feedback von der jeweiligen Trainerin oder dem Trainer sowie seinen Peers. Die Gruppengröße beträgt 5-6 Personen. Am Ende erhält man die Urkunde der wba mit dem Verweis auf den NRQ.
Fazit
Es hat sich sehr gelohnt das Verfahren bei der wba zu durchlaufen. Aus Kompetenzen wird eine Qualifikation. Aber nicht (nur) wegen der formalen Qualifikation, sondern besonders wegen des Feedbacks im Verlauf des gesamten Verfahrens. Dies hat mich nochmal ein gutes Stück weiter gebracht und mir weniger bewusste Teile meiner selbst offenbart. Ich fand es jederzeit wertschätzend und wertvoll für mich ganz persönlich. Ich empfehle das Anerkennungsverfahren unbedingt weiter. Mit etwa 700 EUR Kosten* plus Reiseaufwand war es für mich eine perfekte Weiterbildungsreise mit positiven Nachwirkungen und hohem Nutzen.
* Die Kosten sind natürlich abhängig davon, wie viele Credit Points euch noch fehlen. In meinem Fall war das bis auf die Zertifizierungswerkstatt nichts, weil ich ja schon lange in der Erwachsenenbildung tätig bin und diese Kompetenzen mit formaler Bildung und passenden informellen Nachweisen belegen kann.
Lizenzhinweis
Kompetenz braucht Anerkennung - Erfahrungsbericht zum wba Zertifikat Zertifizerter Erwachsenenbildner von Ulrich Ivens für IvensTraining ist lizenziert unter einer CC BY-SA 4.0 International Lizenz.
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