Das ist Teil zwei der Kurzserie zu den Aufgaben von Ausbildungspersonal. Diese Serie entstand als Antwort aus der Praxis zu einem Artikel von Grollmann P. und Ulmer P. (2019) zu Aufgaben und Qualifikationen von betrieblichem Bildungspersonal. Teil eins findet sich unter https://www.ulrichivens.de/index.php/2020/09/04/aufgaben-von-ausbildungspersonal-teil-1/.
Im ersten Teil ging es im Schwerpunkt darum, die berufliche Handlungskompetenz der Auszubildenden mithilfe einer arbeitspädagogischen Aufgabenzusammenfassung bestmöglich zu bespielen. Die beschriebenen Aufgaben und Rollen/Rollenbilder sind sehr vielschichtig.
Ausbilden heißt in unserem Unternehmen aber auch, einerseits die Personalauswahl für die Auszubildenden und für die dual Studierenden durchzuführen und bestenfalls ein gutes Team zusammenzustellen und anderseits die Planung der Ausbildung unter Berücksichtigung vielfältiger Interessen und Anforderungen durchzuführen. Die daraus resultierenden Aufgaben sind durchaus anspruchsvoll und überwiegend organisatorischer, administrativer, kommunikativer und kollaborativer Struktur.
Personalauswahl
Die Personalauswahl, besser vielleicht Bewerberauswahl für die angebotenen Ausbildungsplätze, wird bei uns maßgeblich vom Ausbildungspersonal mitgestaltet und durchgeführt. Wir haben einen klaren, dreistufigen Prozess der (in Anlehnung an die DIN 33430) aus einem Entscheidungsregelsystem besteht. Zunächst wird eine Vorauswahl nach einem berufsbildspezifischen Anforderungsprofil getroffen, dann wird eine Eignungsdiagnostik (Leistungstest) durchgeführt und als letzten Schritt vor der Entscheidung wird ein strukturiertes Interview ggf. mit keinen integrierten Arbeitsproben durchgeführt.
Die Kombination der Auswahlmethoden sorgt für eine hohe Güte des Auswahlverfahrens, besonders im Hinblick auf den Ausbildungserfolg. Dem Ausbildungspersonal kommt an verschiedenen Stellen eine Mitwirkung zu. Folgende sich daraus ergebenen Aufgaben sind in die Aufgabenbeschreibung aufgenommen worden:
Durchführung der Bewerberauswahl und Einstellungsverfahren im Kontext rechtlicher und betrieblicher Anforderungen
- Berücksichtigung der einschlägigen arbeitsrechtlichen Vorschriften.
- Berücksichtigung der bestehenden GBV (Gesamtbetriebsvereinbarung) zur Auswahl von Auszubildenden.
- Erstellen und Fortschreiben von Anforderungsprofilen in Zusammenarbeit mit den Organisationseinheiten.
- Anwenden von Interviewleitfäden zum Durchführen von Bewerberinterviews unter Berücksichtigung der an die Bewerber gestellten Anforderungen.
- Review und Anpassung der Interviewleitfäden unter Einbezug der Ausbildungsleitung.
- Zusammenstellung von Ausbildungsgruppen unter Berücksichtigung der Anforderungen aus den Organisationseinheiten.
- Einstellungsentscheidungen vorbereiten unter Berücksichtigung der Bedarfsabfrage.
Das sieht erstmal nur oberflächlich aus, hat es aber ganz schön in sich. Die Auswahlverfahren starten bei uns traditionell um den ersten Juli für den September des Folgejahres.
Vor dem Start des Auswahlverfahrens muss mit den Organisationseinheiten abgestimmt werden, ob das kodifizierte Anforderungsprofil noch passt. Die Organisationseinheiten sind einerseits Abnehmer der fertigen Azubis (Übernahmekunden) und andererseits übernehmen sie auch die wichtige Rolle der Ausbildung am Arbeitsplatz im konkreten Arbeitskontext.
In einem Wissenschaftsbetrieb mit ganz unterschiedlichen Einsatzgebieten ist diese Abstimmung nicht immer leicht, da die Anforderungen an ein und dasselbe Berufsbild teilweise sehr unterschiedlich sind. Ein Chemielaborant kann beispielsweise immer wieder gleichartige Analytik machen und andererseits sehr krativ in einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe eingebunden sein und dort vielleicht sogar gänzlich neuartige Dinge mitentwickeln. Dieses Spannungsfeld müssen die Ausbilder entsprechend berücksichtigen. Es werden Ausbildergesprächskreise zusammengerufen, die sich zwei bis dreimal im Jahr treffen und – ähnlich wie ein Qualitätszirkels – unter vielen anderen Funktionen auch beraten wie der Sachstand im Auswahlverfahren ist, und wie das Anforderungsprofil im nächsten Einstellungszyklus weiter fortgeschrieben werden kann/muss. Der Ausbilder moderiert also den partizipativen Kommunikations- und Kollaborationsprozess, um die Bedarfe der Organisationseinheiten bestmöglich im Anforderungsprofil abzubilden.
Da wir eine bedarfsbezogene Ausbildung praktizieren, variieren die Einstellungszahlen je nach Berufsbild und Jahr, denn wir wollen ja bestmögliche Anschlussperspektiven schaffen. Ausbilder müssen bei den Einstellungen natürlich einerseits darauf achten, welche Azubis sie einstellen, damit eine Passung in die Organisationseinheiten und die zentralen Ausbildungsabschnitte hergestellt werden kann, andererseits aber auch hier die Bedarfe des gesamten Unternehmens berücksichtigen und gegebenenfalls Restriktionen bei der Nachfolgenden Planung und Umsetzung der Ausbildung kennen. Das ist nicht immer ganz einfach und ein weiteres Spannungsfeld.
Beim Auswahlprozess werden die Ausbilder durch einen Recruiter unterstützt, der die Prozesse administrativ steuert. Um Vorauswahl (nach Anforderungsprofil), die Durchführung der Eignungsdiagnostik und die gesamte Terminkoordination muss sich der Ausbilder natürlich nicht kümmern. Er kommt erst wieder bei dem Interview in den Prozess.
Bei den Interviews versuchen wir möglichst immer auch Ausbildungsbeauftragte aus den Organisationseinheiten in das Auswahlverfahren einzubinden, um die Passung auch dorthin sicherzustellen und den Organisationseinheiten auch bei der konkreten Auswahl eine Partizipation zu ermöglichen. Die Interviews werden i.d.R. arbeitsplatznah durchgeführt, zunehmend aber auch per Videokonferenz.
Ist eine Einstellungsentscheidung gefallen werden durch die Ausbildungsleitung und die Recruiter alle formalen Prozessschritte (Eintragung, Mitbestimmung, etc.) weiter verfolgt.
Planung der Ausbildung
Die Planung der Ausbildung nimmt ebenfalls viel Raum ein. Die grobe Planung ist natürlich eine sehr saisonale Angelegenheit, aber es gibt ja auch immer wieder Änderungen. Das bringt das sehr komplexe und teils fragile System mit sich. Viele Auszubildende müssen teilweise durch Engpässe im Unternehmen geschleust werden. Dies ist bedingt durch Wahlqualifikationen und schwankenden Einstellungszahlen in vielen Berufsbildern. Daher ist eine gute Planung unerlässlich, um die Ausbildungsqualität aufrecht zu erhalten bzw. steigernd einzuwirken.
Außerdem geht es bei der Planung auch um zukünftige Anforderungen bei der Zyklenplanung.
- Welche Berufe werden in der Zukunft relevant?
- Was kann/ sollte als Zusatzqualifikation abgebildet werden?
- Wie entwickeln sich Bedarfe in den Organisationseinheiten?
- Welche Ausbildungsbeauftragten verlassen uns bald und wie bekommen wir Nachwuchs für diese Kollegen?
Die Ausbilder sind grade am letzten Punkt deutlich näher dran als die Ausbildungsleitung.
Was gehört also konkret zur Planung:
Planung der Ausbildung
- Erstellung und Aktualisierung des betrieblichen Ausbildungsplans für das Berufsbild gemäß „Verordnung über die Berufsausbildung“ mit sachlicher und zeitlicher Gliederung.
- Ermittlung der speziellen Anforderungen aus den Organisationseinheiten. Sowie Ermittlung der Zufriedenheit der Organisationseinheiten mit den Auszubildenden und den hier ausgebildeten Fachkräften. Die Rückmeldungen sollen in neue Planungszyklen einfließen.
- Ermittlung der Möglichkeiten der Umsetzung von Wahlqualifikationsbausteinen und/oder kodifizierten Zusatzqualifikationen sowie sonstigen betrieblich notwendigen Zusatzqualifikationen (z.B. EFFT (Elektrofachkraft für festgelegte Tätigkeiten)).
- Erstellung und Aktualisierung eines didaktischen Ausbildungskonzeptes zur Erfüllung der Anforderungen aus dem Berufsbild und aus den Organisationseinheiten, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Voraussetzungen der Auszubildenden.
- Abstimmung und Entwicklung des didaktischen Konzeptes gemeinsam mit unmittelbaren Mitausbildern im Berufsbild.
- Nutzung von agilen Methoden bei der Zyklenplanung, um auch den gesellschaftlichen Veränderungsprozess, zunehmende Digitalisierung und geänderte Bedarfe der Kunden einzubeziehen.
- Erstellen und Aktualisieren von Ausbildungsabläufen und Versetzungsplänen in Absprache mit den Bedarfsträgern und unter Berücksichtigung von auftretenden Engpässen und den Fähigkeiten der Auszubildenden.
- Nutzung der Software VPLAN zur transparenten und nachvollziehbaren Ausbildungsplanung.
Neben der Planung im Hinblick auf die sachliche und zeitliche Gliederung der Ausbildung (bei uns unterstützt durch die Ausbildungsplanungssoftware VPLAN), gibt es hier weitere interessante Aspekte, die der Planung zuzuordnen sind. Sie haben jedoch weniger organisatorischen Charakter. Vielmehr adressieren Sie eine der inhaltlich-kollaborative-kreative Komponente innerhalb der Planungszyklen.
Die beschriebenen Aufgaben bedienen beispielsweise ganz grob die Rahmenbedingungen für eine gewünschte "Open Educational Practice" (vgl. Koschorreck, J. (2018)). Die Rahmenbedingungen sollen die Verwendung, Gestaltung und auch das Management von gemeinsam genutzten (offenen) Bildungsressourcen fördern, indem sie Offenheit für Bedarfe, Veränderung von Anforderungen, didaktische Neuerungen und Kollaboration an gemeinsamen Bildungsmaterialen ermöglichen. Dazu gehören didaktische Konzepte aber auch konkrete Unterrichts- bzw. Unterweisungsmaterialien. Auch hier ist die Qualitätsperspektive ein Treiber. Ausbildungsqualität muss unabhängig vom konkreten Akteur sein. Die gemeinsame Bearbeitung bedeutet Bündelung und Weitergabe von Wissen, kollegiales Feedback und ein sich inhärent entwickelndes Verbesserungssystem. Wenn als Nebenprodukt dann auch noch Bildungsressourcen herauskommen, die als OER (Open Educational Resources) unter Creative Commons Lizenzen veröffentlicht werden können, freut mich das immer sehr.
Dass sich die Ausbilder darauf einlassen, Materialien gemeinsam mit anderen (perspektivisch auch mit Externen) zu entwickeln zu teilen und dann auch noch freigeben für Dritte ist aber bei weitem noch nicht selbstverständlich. Das ist ein Prozess, der sich nur langsam entwickelt und auch von mir als Ausbildungsleiter ständig passende Botschaften und ein gutes Vorbild verlangt.
Auch im zweiten Teil dieser Serie kann man sehen, wie vielfältig die Aufgaben des Ausbildungspersonals geworden sind. Der dritte Teil in der nächsten Woche adressiert daher unter anderm auch die Weiterbildung von Ausbildungspersonal, welche bei uns tatsächlich eine beschrieben Aufgabe für Ausbildungspersonal ist.
Ich freue mich über alle Rückmeldungen und Kommentare.
Literaturnachweis
Grollmann P. & Ulmer P. (2019) Betriebliches Bildungspersonal – Aufgaben und Qualifikation. In: Arnold R., Lipsmeier A., Rohs M. (eds) Handbuch Berufsbildung. Springer Reference Sozialwissenschaften. Springer VS, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-19372-0_41-1
Koschorreck, J. (2018). Open Educational Practices (OEP). Abgerufen von www.die-bonn.de/wb/2018-oep-01.pdf am 10.09.2020
Der Beitrag "Aufgaben von Ausbildungspersonal – Teil 2" von Ulrich Ivens steht unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.
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